Dienstag, 14. November 2017

La Paz und die Straße 25 (31.08.2017 - 08.09.2017; aktueller Standort: Pucón, Araucanía)

Wir sahen El Alto in der Ebene vor uns und fuhren einigermaßen zügig in die Stadt. Simone dirigierte wie immer und schleuste mich schnell über die zweispurige Fahrbahn nach La Paz. Bloß wie angedeutet, wo lag La Paz? Wir sahen den 6.402 m hohen Illimani mit seinen Gipfeln und waren uns bewusst, dass wir auf 4.000 Höhenmeter waren, als sich plötzlich vor uns eine Kante auftat und wir in ein extrem steiles Tal hinab schauten. Schon musste die Motorbremse röhren, denn es ging sofort in todesverachtenden Serpentinen nach unten. Wir hatten La Paz erreicht (Kartenlink).

La Paz ist der Regierungssitz Boliviens und mit El Alto, dem Handelszentrum (in unseren Augen ein riesiger Lkw-Umschlagsplatz) auf dem Plateau vereint. Zusammen haben die beiden Städte ca. 1,5 Millionen Einwohner, wobei El Alto ein paar mehr in die Waagschale wirft. Aus Sicherheitsbedenken und an Mangel an Interesse hatten wir nicht geplant La Paz anzufahren, aber es existiert eigentlich nur eine Straße an dieser Stadt vorbei. Und diesen Weg wollten wir ebenso wenig begehen.
Zwischen den beiden Städten liegen bis zu 1.000 Höhenmeter, aber in Kilometer war es ein Klacks! Ebenso ist im geschützten Tal die Temperatur um einige Grad höher als in El Alto, in dem hauptsächlich die gesellschaftlich Schwächeren wohnen. Nicht, dass es die in La Paz nicht auch gäbe. Daher rührt vielleicht die extrem hohe Verbrechensrate, denn zwischen reichen Villengegenden und Slums liegen hier nur wenige Meter. Ohne La Paz würde in Bolivien gar nichts gehen, alles aber auch alles wird aus diesem tiefen Tal geregelt und bestimmt.

Wir fuhren zuerst hinab und machten den ersten Halt an der Käserei „Flor de Leche“. Zum ersten Mal kauften wir einen Camembert in Amerika. Frischkäse und unterschiedlich lang gereiften Käse hatten sie auch und als Krönung Joghurt mit verschiedenen Geschmacksrichtungen (Maracuja war der Hammer!). All diese Produkte probierten wir an einem kleinen See zu Mittag. Landschaftlich war La Paz toll und als wir im Tal angekommen waren, mussten wir an anderer Stelle wieder nach oben, denn nur oben gab es Werkstätten für Trucks. Die weiter unten waren nur für Pkws und die erste in der wir fragten sagte in welches Viertel wir müssten. Waren einige Blocks entfernt dort vorbeigerauscht, sahen aber nur Mechaniker die auf der Straße an den Lastwagen herumschraubten. Dies wollten wir gar nicht, aber nach dem wir wieder oben waren (eine Stunde später) fuhren wir zufällig an einer großen Iveco Werkstatt vorbei. Sie lag auf der anderen Straßenseite also wurde im nächsten Kreisel gedreht und schwupps parkten wir vor der Werkshalle. Wir wurden sofort bedient und die fachmännische Crew flickte endlich das kleine Loch im Luftdrucksystem, welches schon einige andere Mechaniker zuvor versucht hatten. Nun sackte der Bremsdruck nicht sogleich ab, wenn Pancho für 15 Minuten ruhte. Sie nieteten noch eine Staubox, ölten ein paar Stellen und wir kauften im Gegenzug 3 Liter Öl. Darauf bekamen wir einen Rabatt und die Arbeit zahlten wir gar nicht. Nach einer Stunde rollten wir schon wieder... und zwar abwärts.
Eine Stunde später und wir waren abermals auf 3.200 Meter über Null und sahen von der Straße einen kleinen Fußballplatz auf der anderen Flussseite. Wir kamen dorthin und parkten oberhalb des Verkehrs, zwar sichtbar aber immerhin in einer etwas besseren Wohngegend. Niemand störte und in der Nacht blieb es ruhig.




Dieser Tag ist schnell erzählt. Wir fuhren in die Zona Rosa, einer der besten Wohngegenden in La Paz. Viele lateinamerikanische Städte hatten eine Zona Rosa und es war immer das selbe. Teure Läden, schicke Restaurants, noble Häuser, wenig Verkehr, viel Polizei, Malls und wenig Kultur und noch weniger Historisches. Schade, aber für uns der beste Ort zu parken wenn der Ruf einer Stadt wie Hundekot am Schuhsohlen ist.
Natürlich fanden wir einen perfekten Parkplatz und gingen in dem verwirrenden Viertel spazieren, in dem konzentrische Halbringe mit Verbindungsstraßen zu einem Labyrinth erdacht wurden. Einkaufen war auch kein Problem und ein erschwingliches Mittagsmenü fanden wir auch. Am Nachmittag sprangen wir in den Bus und fuhren zu einer der vielen krassen Landschaften in La Paz. Das Valle de la Luna (Mondtal) ist eines der vielen Seitentäler und bestand aus erodierten Gesteinssäulen und Felsspalten und da dort so gut wie nichts wuchs hatte das Mondtal ein sehr bizarres Aussehen. Daher sein Name und es gefiel uns ganz gut. Am Abend gingen wir auf ein Bier in eine Kneipe. Grasgrün kam es aus der Flasche und schmeckte sehr seltsam.







An diesem Tag besuchten wir ein weiteres Tal gleich vor den Toren von La Paz. Dafür mussten wir wieder in die Höhe und obwohl wir in La Paz blieben war auch hier offensichtlich, je höher desto ärmer. Das Valle de las Ánimas (Tal der Seelen) war nicht einfach zu finden und wir parkten neben einem Polizeicheckpoint, der uns einen Weg in die Felsen wies. Die Landschaft war ähnlich dem Valle de la Luna mit etwas mehr Vegetation und als wir erst mal einen Zugang gefunden hatten erschien es als könnte man für Stunden wandern. Wir kamen höher und die Blicke zwischen den Felsspalten wurden spektakulärer je höher wir schritten. Der Hausberg, gleichzeitig der höchste Berg der Cordillera Real, lag zum greifen nah. Der Illimani ist der zweithöchste von Bolivien und jeder kann sich denken, dass wir Gefallen an ihm fanden. Weiße hohe Gipfel können nie nicht gefallen . Simone war mit ihrem Fuß noch nicht so weit um jeden losen An- bzw. Abstieg mitzumachen und so begnügten wir uns mit 3 Stunden im Valle de las Ánimas. Hier ein kurzes Video, aufgenommen mit einer Drohne welches die ganze Schönheit aufzeigt. Lohnt sich!
Den restlichen Tag verbrachten wir in der Zona Rosa.







Sonntag und wir wollten weiter. Wir fuhren kurz an einen Supermarkt vor und wie immer war früh nicht viel los. Wir benötigten Zeit, da der Laden riesig war und als wir ihn um 9.10 Uhr verließen war der Parkplatz überraschend leer, ja tatsächlich waren wir die einzigen. Was dies nun wieder bedeutete...
Auf der Straße das gleiche Bild. Ich rollte nur ganz langsam, das alles war komisch. Auf einer der Hauptstraßen durch die Zona Rosa blinkte eine Ampel orange und kurz bevor wir an ihr ankamen sprang ein Polizist vom Seitenweg vor Pancho mit der Trillerpfeife auf Hochtour. Er zückte sofort sein Blöckchen um uns eine Verwarnung auszustellen und wir fragten freundlich um was es denn überhaupt ging. Autofreier Sonntag von 9 - 17 Uhr seine Antwort. Wir: Jeden Sonntag? Er: Nein nur diesen. Wir Glückspilze! Wir erklärten ihm, dass wir für 2 Tage in der Stadt waren und nirgends ein Schild gesehen hätten, wir Deutsche Touristen seien... lassen wir das. Das Glück blieb uns hold und er verdonnerte uns zum sofortigen Stillstand an Ort und Stelle. Auch gut, parkten wir mitten auf einer Hauptstraße in La Paz. Das soll uns der normale deutsche Tourist erst einmal nachmachen . So blieb uns ein weiterer Tag im höchsten Regierungssitz der Welt vergönnt und jede Menge Zeit weiter Kaffee, Kuchen und Eis zu testen. Gegen 14 Uhr waren wir kurz an Pancho und scharenweise Inline-Skater und Fahrradfahrer bewunderten Pancho. Wir verschwanden schnell im Inneren und gingen gleich wieder. Um 17 Uhr parkten wir ihn fix um und rückten für ein Bier im Pub aus. Was für ein Gammeltag.

Montag und die Straßen waren verstopft. Wir benötigten über eine Stunde um Pancho langsam durch La Paz zu treiben. Am Ende gelangten wir wieder auf 4.000 Höhenmeter an und La Paz lag hinter uns. Wir hatten bis auf die kleine Zona Rosa nichts von dieser Großstadt gesehen und hatten auch nicht das Gefühl viel verpasst zu haben.
Es ging aber gleich noch weiter hoch. Wir fuhren in die Yungas, eine Region aus zwei Tälern, die die Hochanden vom tropischen Amazonas-Tiefland trennte. Die Vorgabe war extrem. Wir überquerten einen windigen und kalten Pass auf 4.650 HM und brauchten dann für 3.300 Höhenmeter nur noch das Bremspedal! Leider war es wolkig, sonst wäre diese Talfahrt sicherlich ein Highlight in Bolivien. So fuhren wir von einem kahlen Pass in die Wälder Boliviens und sparten uns, dafür ist diese Region auch in Europa bekannt, die weltberühmte Todesstraße. Einige Kilometer galten als die gefährlichsten auf diesem Planeten da in Spitzkehren Busse und Lastwagen den Berg auf einer einspurige Schotterpiste hoch und runter mussten. Mussten, da es nun eine asphaltierte breite Straße gibt die auch wir nutzten. Man zahlt heutzutage für die Nutzung der Todesstraße und wir hatten genug „Todespisten“ in Kolumbien, Ecuador und Peru, da brauchten wir nicht auch noch dafür zahlen.
Wir kamen bis auf 1.300 Meter und kurbelten sofort die Fenster runter. Es wurde schlagartig schwül warm. Um nach Coroico zu gelangen mussten wir wieder Eintausend Höhenmeter empor und durften uns dann durch enge Gässchen drücken. Kein Platz für uns zum parken und wir fuhren ans Dorfende und stellten uns auf die etwas breiter werdende Straße neben eine Schule. Es war nicht ideal, aber einiges war nicht berauschend. Es war tropisch warm und wir schwitzten wie doof, Stechmücken und später kamen Blackflies hinzu, wandern konnten wir so gut wie vergessen da alles nur per Agentur lief. Wir kraxelten auf einen Hügel zu einer Kapelle und aßen auf dem kleinen zentralen Platz Empanadas und gefüllte Kartoffeln. Zum kochen war es zu heiß! Trotz Straßenparkplatz war die Nacht ruhig und leichter Regen viel für ein paar Stunden.



Die folgenden drei Tage im Überblick.
Wir fuhren auf der Schotterstraße 25 und das größte Dorf hatte 3.000 Einwohner. Es ging ausschließlich bergauf und bergab, wobei wir uns permanent um Flussläufe zu drehen schienen. Stunden später und wir dachten wir würden immer noch den Ausgangspunkt des jeweiligen Tages sehen. Die angesprochenen Moskitos und Blackflies verschwanden erst am dritten Tag. An den ersten beiden ging es durch wenig begeisternde Landschaft. Das Bild bzw. die Berghänge prägte eine Pflanze. Der Coca-Strauch. In Bolivien machte niemand einen Hehl daraus, dass Coca eines der wichtigsten Produkte darstellte. Selbst der Präsident hat 2009 in der Verfassung die Pflanze als wesentlicher Bestandteil des bolivianischen Kulturguts erklärt.
Ca. 1,2 Millionen Kilo Coca-Blätter werden in Bolivien monatlich konsumiert; meist kauend! Mehr als das Doppelte geht allerdings außer Landes um als feines weißes Pulver auf den Weltmarkt zu gelangen. Je nach Quelle liegt Bolivien an zweitem oder dritten Platz bei der Kokainproduktion (weltweit).
Und da fuhren wir durch. Überall wurde gezupft und die kleinen grünen Blätter lagen zum Trocknen an Häusern oder in den Straßen und auf den Plätzen der kleinen Dörfer aus. Spannend war das nicht.
Wir fanden eine Tankstelle für 4,5 Bolivianos pro Liter, die soweit ab von der Welt lag, dass keine Kamera oder sonst welches Überwachungsgerät existierte. Wir füllten unseren Tank und die beiden Reservekanister. Das schönste in den ersten beiden Tagen waren die vielen Vögel. Kolibris und Papageien, aber scharenweise Montezumas.
Am dritten Tag wurde die Landschaft etwas interessanter. Wir gewannen ein bisschen an Höhe und mussten einen Fluss durchqueren, welches ganz offiziell im Straßenverlauf eingetragen war. Die Brücke war schon seit Jahren von den Fluten hinweggerissen worden, denn genau so muss es in der Regenzeit dort aussehen. Ein breiter reißender Strom den man nicht überqueren kann. Ein Irrsinn. Wir wussten davon nichts und krochen auf Erde den 249. Berg hinab und konnten dann durch ein fast trockenes Flussbett fahren und mussten nur zwei Wasserläufe überwinden. 60 cm tief in etwa. Der 250. Berg hinauf wartete am Flussufer...
Es hatte den Anschein als wären wir eine Abfahrt zu schnell hinab gefahren, denn kaum waren wir unten wurde mir etwas schlecht. Durch ein Dorf, welches wir rückwärts wieder verlassen mussten und über eine Umleitung aus Erde und Schlamm erreichten wir das Ende des Dorfes. Grund für die Sperrung war ein geborstenes Wasserrohr. Durch eine andere Umleitung (es ging durch Büsche und unter tiefhängende Äste hindurch), dieses Mal wegen eines Erdrutsches, und oben auf dem Berg angekommen mussten wir halten. Mir ging es schlecht und an einem Aussichtspunkt über einen Fluss (wo sonst) parkten wir bereits um 15 Uhr. Ich musste mich hinlegen und konnte auch später nichts essen. Toller Tag und ganz generell tolle Strecke. Nichts als Zeitverschwendung.







Es gewitterte in der Nacht und etwas Regen viel und wie in Peru an der Zufahrt zu den Rainbow Mountains waren die Berge um uns herum am Morgen weiß. Eine düstere Stimmung herrschte. Wolkenverhangene dunkle Berge, die mit neuem Schnee unheilvoll in der Ferne aufragten. Mir ging es etwas besser und wir ließen uns an diesem, dem 4. Tag auf der Straße 25, mehr Zeit. Simone hatte dafür einen steifen Hals und so ging es weiter auf viel Schotter und etwas Erde. Wir kamen durch 2 Dörfer und wurden wieder durch eine Umleitung geschickt. Tags zuvor mussten wir ein Flussbett kreuzen, heute mussten wir für 150 Meter durch den Fluss fahren. Er war vielleicht einen halben Meter tief und große, offensichtlich nicht sichtbare abgerundete Steine lagen im Flussbett. Im Schritttempo fuhren wir gegen die Strömung an und Pancho wankte von links nach rechts und wieder zurück. Dies passiert in Bolivien, wenn man eine als gut markierte Straße abseits von Hauptwegen nutzen möchte. Als kleiner Trost für uns wurde unsere Umgebung schöner. Die Cocaplantagen machten Platz und die Berge kamen wieder klarer zur Geltung. Kein Wunder, denn wir gewannen schnell an Höhe. Bei Sonnenschein ließen wir die Baumgrenze hinter uns und arbeiteten uns an einen weiteren Pass in Südamerika heran. Bis auf 4.250 Meter kamen wir, inzwischen dem Schnee ganz nah (direkt neben uns) und ein weiteres Mal waren wir von der Bergkulisse der Anden verzaubert. Es ist unbeschreiblich wie Gebirgsseen in unwirtlicher Landschaft vor einem verschneiten Andengipfel wirken. Auf der Passhöhe sahen wir zweierlei. Einige Personen die im Schnee herumtollten und Selfies knipsten und weit unter uns die Großstadt Cochabamba. Endlich!!!
Wir hatten die letzten 20 km vor uns, das meiste davon bergab, und wir umarmten die Zivilisation innig. Wir lieben es in abgelegenen Landstrichen unterwegs zu sein, aber die Fahrt auf der Nummer 25 fühlte sich nach harter Arbeit an. Mit den ersten Häusern kam eine Pflasterstraße und als wir auf die Autobahn zwischen La Paz und Cochabamba stießen rollten wir zum ersten Mal seit 4 Tagen wieder auf Asphalt. Wir hatten 488 Kilometer auf Schotter und Erde mit einigen Schlaglöchern zurückgelegt. Etwas Waschbrett fehlte natürlich auch nicht. Am dritten Tag begegneten wir einem Auto, hatten zwei interessante Flussdurchquerungen und zwischen Coroico und Cochabamba lagen nur 100 Höhenmeter Differenz.
Tja unvorstellbar, aber Moment wir waren ja in Bolivien...










Mit steifem Hals und flauem Magen,
Simone + Stefan