Montag, 5. Juni 2017

Verdammt viel Dusel am Ende (30.03.2017 - 04.04.2017; aktueller Standort: Vilcabamba, Loja)

@ Dirk: Hey Saarländer! Alles Gute zum Geburtstag; dieses Jahr wieder mit einem Gig? Feier ein feucht-fröhliches Fest .

730... Was? Kilometer, Sekunden, Tonnen, Stufen, Liter oder Teilchen... nichts von allem. Tage, nämlich 730 oder 365 x 2 oder 2 Jahre unterwegs von Halifax, Kanada bis nach Mocoa, Kolumbien. Wir feierten Jubiläum auf der Panamericana (Kartenlink).

75.660 km waren wir seit Beginn unterwegs und an diesem Tag addierten wir einige mehr dazu. Wir taten nichts anderes als fahren. San Augustín nach Mocoa, schon fast an der Grenze zu Ecuador, war unser Tagespensum. Wir starteten in den Anden und endeten auf 600 Höhenmetern im schwül-warmen Klima. Als etwas besonderes wählten wir nicht irgendeinen Platz an diesem Tag, sondern zahlten ein paar Dollar um auf einen kleinen, privaten Campground am Fluss zu nächtigen. Das Grundstück war mit Teich, Feuerstellen, Pool und Duschen schön angelegt und wir durften frei wählen, da wir die einzigen waren. Also fuhren wir eine Böschung hoch um der Straße zu entfliehen. Mittig in der Wiese stellten wir Pancho ab und taten nicht mehr viel. Nach dem Abendessen kam wieder ein Schauer und es regnete durchweg bis zum Morgengrauen. Unmengen an Wasser kamen herunter.


Aus dem Besuch einer nahe gelegenen Auffangstation für verletzte und ausgesetzte Tier wurde nichts, da wir 10 cm hoch im Wasser standen und prophezeiten die Wiese umzupflügen falls wir starten würden. Davon wollte der Besitzer aber nichts wissen und ließ uns loslegen und schwupps waren wir einen Meter weiter und 20 cm tiefer. Festgefahren. Während den gut vier Stunden die wir benötigten um wieder aus der vollgesogenen Wiese zu kommen, hielten die Stechmücken und Black Flies ein Festmahl.
Wir bewegten uns keinen Millimeter. Weder vor noch zurück, weder mit Differential noch ohne. Der Pick up des Besitzers grub sich beim Versuch uns per Stahlseil einen Ruck zu geben selbst in den Grund. Holzbretter wurden geholt und mit 2 Wagenhebern wurde Panchos Hinterachse langsam nach oben gepumpt. Dies dauerte ewig, da die Bretter brachen oder selbst im Boden verschwanden. Am Ende standen die Wagenheber auf mehreren Lagen Holz und unter Panchos Hinterreifen wurden Steine und weitere Holzscheite gestopft. Dann wurde noch das Gras samt Erde rund um die Reifen gestochen, unsere Sandbleche unter den beiden Vorderrädern gerammt und dann lieferte der Pick up das gewisse Quäntchen, damit Pancho aus der Wiese kam. Danach parkten wir unten auf dem kleinen Parkplatz und gingen duschen. Soviel Schlamm hatten wir in 2 Jahren noch nicht. Dann aßen wir was und im Nu hatten wir 3 am Nachmittag. Wir besuchten ein kleines Dorf, fanden dies aber nicht spannend genug um über Nacht zu bleiben. Wieder in Mocoa überlegten wir ob wir in der Kleinstadt (ca. 40.000), oder außerhalb in Richtung unserer weiteren Route stehen wollen. Beim durchqueren am Vortag war schon viel Radau auf den Straßen und am heutigen Freitag waren sicherlich noch mehr Menschen unterwegs. Dies gab den Ausschlag am 31. März 2017 nicht in Mocoa zu bleiben. Wir fuhren ein paar Kilometer weiter und fanden im nächsten Dorf einen grandiosen Platz direkt am Fluss Rumiyaco, einen von einem halben Dutzend welche alle in Mocoa in den gleichnamigen Fluss münden. Das Wasser schoss klar über große Steine und 2 Einheimische waren mutig genug ins Wasser zu gehen. Wir begnügten uns mit frischer Ananas und dem beobachten von kleinen Tukanen und anderen exotischen Vögeln. Dann kam die Nacht und der Regen. Dann kam die Katastrophe.


Chronologisch müsste ich berichten, dass wir am Morgen nach einer lauten Nacht weiter fuhren. Es regnete so viel, dass wir die Steine im Flussbett haben rollen hören. Der Wasserstand war am Morgen sicherlich 20 cm höher und das Wasser war braun. Die Polizei winkte uns zu und versicherte, dass die Trampolina del Muerte (die Todesstraße Kolumbiens) frei sei. Sie grinsten und streckten uns den erhobenen Daumen entgegen. Und so weiter und so weiter.
Wir ahnten nichts, wir haben nichts mitbekommen und hatten ein ganzes Rudel Schutzengel mit an Bord.
Die Wassermassen der letzten Tage konnten die Flüsse in der Region um Mocoa nicht mehr aufnehmen und 3 sind als Schlammlawinen kurz vor Mitternacht aus verschiedenen Richtungen ins Zentrum der Kleinstadt gestürzt. Stadtteile wurden ausradiert, alle Brücken weggerissen (welches die Hilfe von außen extremst erschwerte) und Menschen verloren alles. Jeder Überlebende hatte in der Familie oder im Bekanntenkreis Tode zu beklagen. Tage später sahen wir Bilder aus Mocoa. Wir hätten nicht sagen können wo wir vorher waren. Nur Schlamm, Wasser und Felsbrocken so groß wie Kleintransporter. Ein junger Mann im blutigen weißen T-Shirt, der seine gesamte Familie verloren hatte, ein kleines Mädchen welches weinend auf Schaumstoff saß und vergebens auf seine Eltern wartete. Polizisten starben beim Versuch Menschen zu retten und Überlebende trugen einen Stuhl oder einen verdreckten Koffer mit sich. Dies war alles was ihnen blieb; Mocoa war am Ende.
Wir konnten nicht begreifen, dass wir nur 6 km von dieser Tragödie entfernt parkten und der Fluss Rumiyaco keiner derer war, die den Tod brachten. Es starben in der Nacht auf den 1. April mehr als 300 Menschen in Mocoa und weitere 300 wurden noch vermisst. Die Stadt wird nie wieder die sein, die wir am 31. März sahen. Mir laufen die Tränen-----

Nach einer Schreibpause geht es weiter.
Also wir fuhren die Straße Nummer 10, auch bekannt als Trampolina del Muerte, in Richtung Pasto. Die Strecke ist 64 km lang, windet sich als einspurige Schotterpiste über 2 Pässe (beide zwischen 2.000 und 2.500 m hoch), hält ein paar Bachdurchquerungen parat und hat oft nur die Felswand zur einen und die Abbruchkante zur anderen Seite. Etliche kleine Ausbuchtungen erleichtern etwas die Adrenalinroute. Wir benötigten fast den ganzen Tag für diese Strecke und zählten insgesamt 89 Fahrzeuge. Irrsinnigerweise waren die Hälfte Trucks aus Ermangelung einer anderen Strecke. Bei klarem Wetter wären die Blicke phänomenal, so sah alles diesig aus. Interessant wurde es immer dann, wenn ein anderer Lkw entgegenkam. Um Platz zu schaffen musste einer meist rückwärts fahren und wir standen 20 Minuten an einer Haarnadelkurve und konnten mitansehen, wie 2 Fahrer es ohne Ausbuchtung auf einer einspurigen Straße hinbekamen nicht über die Klippe in die Tiefe zu stürzen. Adrenalin pur. Apropos über die Klippe. An einer Stelle kamen wir als drittes Fahrzeug in einen Stau, da Bauarbeiter einen großen Baum beseitigen wollten. Der Stamm war schon verschwunden, aber die Wurzel wollte nicht gehorchen. Ein Laster von der Gegenseite sollte die Wurzel ziehen, aber ohne Allrad schaffte er es nicht. Dann wurden wir gefragt. Klar halfen wir! Es wurde manövriert und dann standen wir vor der Wurzel. Wir befestigten das Stahlseil und Pancho zog mit Bravour die Wurzel vom Hang auf die Straße und an die Kante. Dann war Muskelarbeit gefragt und 20 Mann rollten die Wurzel über den Abgrund. Ein Straßenschild ging mit in die Tiefe und es krachte wie im Film, als die Wurzel zig Meter tiefer in die Baumkronen stürzte. Die Männer johlten und wir wurden gefeiert . Total irre.
Wie ihr seht überlebten wir die Todesstraße und parkten später an der Straße neben einer Ruine. Wir waren wieder fast auf 3.000 Meter und mussten einsehen, dass wir unser anvisiertes Ziel nicht erreichen. Es nieselte und wurde kalt. Guter Zeitpunkt um unsere Heizung auszuprobieren, doch leider ging sie nach 5 Minuten in Störung und auch beim zweiten Versuch warf sie einen Fehler aus. Überhitzung in der Warmluftableitung. Toller Mist. Also wurde es etwas kühler im Inneren.






Nach nur 20 Minuten waren wir im Páramo am höchsten Punkt der Strecke angelangt und dann dauerte es nicht mehr lange und wir erreichten die Laguna de la Cocha. Dort parkten wir in Sichtweite zum Vulkan Campanero an einem Restaurant und da es noch früh war stärkten wir uns mit einem weiteren Kaffee und skypten mit der Familie. Verständlicherweise waren sie sehr angespannt, dann jedoch überglücklich dass wir nicht zu Schaden gekommen waren. Sie versuchten uns mobil zu erreichen, welches auf der Trampolina aber nicht funktionierte und wussten nur, dass wir Mocoa ansteuerten. Sie klärten uns auf und anschließend verbrachten wir eine Stunde im Netz um Meldungen zum Unglück zu lesen.
Wir bestellten Forelle zu Mittag und durften auf dem Parkplatz stehen bleiben. Dies nutzten wir um unsere Heizung zu reparieren und einen Spaziergang zu einem Wasserfall zu unternehmen. Wir schraubten alle Heizungsrohre ab und bliesen sie durch, reinigten den Ventilator am Heizgerät und befestigten alles wieder. Wir dichteten alle Übergänge vom Gerät zu den Heizungsrohren ab und danach lief sie. Bis jetzt muckte sie nicht mehr und bewährte sich auch auf über 4.000 Höhenmeter.




Wir sagten Adios zum Restaurantpersonal und fuhren weiter nach Pasto. Letzter großer Einkauf, volltanken und eine kurze Stadtbesichtigung. Die Innenstadt gefiel uns sehr. Nichts auf Tourismus gemacht und die alten Häuser waren quietschig bunt. Am frühen Nachmittag ging es weiter und eigentlich wollten wir bis zur Grenze nach Ecuador gelangen, aber permanente Baustellen verhinderten dies. Die Landschaft war klasse und die Straße stieg an einer Bergflanke empor, nach dem sie von Pasto erst in eine tiefe Schlucht abfiel. Wir flogen die Höhenmeter nach unten und kamen aus dem staunen nicht heraus. In einer 360° Kurve überquerten wir einen Fluss in einem Canyon und durften dann nach oben; weit nach oben. Fast 2.000 Meter über etliche Kilometer im 2. und 3. Gang. Ein Zugang zu einem Strommasten auf einem Felsen am Berghang rettete uns. Dort schliefen wir die letzte Nacht in Kolumbien. Ruhig in der Nacht und erstklassige Ausblicke nach beiden Seiten. Kolumbiens Anden waren schön, aber noch nicht das was wir uns erhofften. Kommt noch, versprochen!









In der Grenzstadt Ipiales legten wir einen letzten Stopp ein. Eines der sieben kolumbianischen Wunder ist dort zu besichtigen. Die neogotische Kirche El Santuario de las Lajas steht auf einer Brücke und ist in eine Felswand integriert, in der ein Mann das Abbild der Jungfrau gesehen haben möchte. Die einfache Kapelle wurde später von einer Kirche überbaut und diese ebenfalls von der heutigen weißen, im Inneren überaus kitschigen Erscheinung. Im richtigen Licht war das Bauwerk schön anzuschauen, aber ins Innere muss man nicht. Wir ließen uns Zeit und vesperten auf dem Parkplatz einer Seilbahnstation. Dort bestellten wir den letzten Tinto und waren 30 Minuten später an der Grenzstation. Den Ausreisestempel hatten wir im Nu und Panchos Papiere sollten wir einfach hinter einer Scheibe eines nicht besetzten Büros legen. Wir fragten nach einem Stempel oder einer Kopie, aber der Wachmann sagte nur „tranquilo“, also „nur ruhig, keine Panik“.
Nach nur 15 Minuten waren wir auf dem Weg zur ecuadorianischen Zollstation.

Wir schafften es tatsächlich 6 der 7 „Wunder“ in Kolumbien anzusehen.







Am Tag als wir vom Unglück in Mocoa erfuhren erhielt ich auch die traurige Nachricht über das Ableben einer Freundin. Kolumbien bereitete uns einen schweren emotionalen Abschied.

In Trauer nach Ecuador.