Sonntag, 21. Januar 2018

Das argentinische Seengebiet 1 (15.11.2017 - 20.11.2017; aktueller Standort: Punta Arenas, Magallanes und Chilenisches Antarktisterritorium)

Zwar waren die Grenzposten getrennt und dennoch wurden wir extremst zügig abgefertigt. In Chile dauerte die Ausreise 5 Minuten und in Argentinien die Einreise 15 bis wir und Pancho um weitere 90 Tage im Land bleiben durften. Niemand interessierte sich für Panchos Inneres und daher blieben alle Lebensmittel in unserem Besitz. Wir blickten zum übermächtigen Lanín empor und verabschiedeten uns von ihm. Vorläufig... (Kartenlink).

Kaum rollten wir vom Pass in die Tiefe wurde das Wetter besser. Die wenigen Wolkenschlieren ließen wir nach einigen Kilometern hinter uns und sofort wurde der krasse Kontrast zur gegenüberliegenden Andenseite sichtbar. Wälder waren Fehlanzeige, Weiden mit gelblichem Gras beherrschte unser Umfeld. Es war viel trockener und trotzdem schön. Auf unserer Fahrt nach Junín de los Andes folgten wir einem Fluss und an einer Stelle sahen wir plötzlich etliche Kondore in der Luft schweben und sich langsam in Richtung Erde bewegen. Wir verlangsamten und sahen dann schon einige auf einer Weide sitzen. 15 Vögel sicherlich, in einiger Entfernung doppelt so viele Geier und versprengt noch viele Caracaras. Grund war eine verendete Kuh und wir konnten dem Treiben der Aasfresser bestens beiwohnen. Allerdings war noch kein Vogel am Aas, dafür lag die Kuh zu nahe an der Straße. Es wurde im Vorfeld bereits viel gestritten und pausenlos erhoben sich Vögel in die Luft, während andere zum Landeanflug ansetzten.
Relaxt ging es weiter und wir landeten am Nachmittag in der Stadt. Ein Platz war schnell gefunden und kaum endete für Pancho der Arbeitstag unter einem Baum am Bach, als ein französisches Paar in ihrem Camper an der gleichen Stelle einbog. Wir plauschten mit unseren Nachbarn und liefen dann kurz durch die Straßen der Kleinstadt. Nur aus Neugierde besuchten wir zwei Supermärkte (es gab diese Ketten bei unserer ersten Runde um Salta nicht) und taumelten sogleich zurück auf die Straße. Nach den Preisen in Läden zu urteilen, müsste jeder Argentinier Millionär sein und wir können versprechen dies wurde noch viel verrückter.
Wir warfen einen Blick in die Kirche und entschieden wir hatten genug Sightseeing in Junín de los Andes gehabt. Später schaukelte das Gurgeln des Baches uns in den Schlaf.





Wenigstens waren Bäcker immer noch günstig. Wir können einfach nie widerstehen uns frische Brötchen und ein paar Kekse oder Croissants zu gönnen. So auch an diesem Morgen. Danach stand ein reiner Fahrtag an. Jeder hätte eine andere Route gewählt. Ruta 40 erreichte etwas weiter südlich ihren vielleicht schönsten Abschnitt durch das argentinische Seengebiet, aber wir nahmen eine Inlandschleife. Grund dafür, wir wollten über den selben Grenzübergang zurück nach Chile und konnten deshalb zwei unterschiedliche Strecken erkunden. Die beiden Straßen trennten nur 50 Kilometer, aber unterschiedlicher hätte die Landschaft nicht sein können. Am Vormittag folgten wir dem Río Collón Curá, bis wir an seinem Stausee über eine Brücke die andere Seite des Gewässers erreichten. Die Dimensionen des Sees, wie von fast jedem in Argentinien oder Chile, waren gigantisch. Normal sieht man nur einen kleinen Teil des Sees und fährt locker 30-60 Minuten an seinem Ufer. An diesem Tag ähnlich. Erst kam der Fluss, dann der Stausee und sofort war der Fluss Limay mit einer göttlichen hellblauen Färbung zur Stelle, der uns dann so lange begleitete, bis er im Alicura Stausee einen Zwischenstopp einlegte. Die Farbe des kilometerlangen Sees übertraf jegliches Gewässer in der Karibik. Auch dies traf für fast jeden See in diesen beiden Ländern, so wie auf Kanada zu.
Trotz des vielen Wassers war die Erde ausgetrocknet. Direkt am Ufer waren die Weiden und Felder grün, dahinter war alles gelb und schroffe Felsen lagen in der Prärie. Hinter dem Stausee floss der Limay weiter und am Zusammenfluss, an dem der Traful sein Wasser beisteuerte, fanden wir einen windgeschützten Platz neben dem Strom. Wir machten Feierabend und schliefen am fünften Tag in Folge direkt neben Wasser.









Der Limay strömte weiter und wir folgten ihm weiter. Das Terrain wurde bergiger, da wir uns den Anden näherten und gleichermaßen wurde es grüner. Die Strecke war toll und gleich nachdem die 237 auf die 40 stieß war es Zeit für Schnappatmung. Der Limay entsprang dem See Nahuel Huapi, welcher wiederum im Herzen des Seengebiets lag und dort am Seeufer lag die Stadt Bariloche, demnach in der Mitte des wunderschönen argentinischen Seengebiets. Man sah weder den See, noch die Großstadt. Weiße Gipfel waren zu sehen, aber auch nicht im vollen Umfang da wir eine Anhöhe hoch mussten. Über die Kuppe ging es in eine langgezogene Linkskurve und als der Erdwall neben der Straße abflachte quietschten unsere Bremsen. Urplötzlich befanden wir uns am Nahuel Huapi und konnten alles überblicken. Die Bergspitzen lagen aufgereiht wie an einer Schnur, Bariloche lag hinten links und wir konnten wieder nur einen Ausschnitt des Sees sehen. Aber dieser genügte bereits, um Feuchtigkeit im Augenwinkel entstehen zu lassen. Schuld war nicht nur der beißende Wind...
Auf dem Nahuel Huapi könnte man Flottenmanöver mit Kriegsschiffen und Flugzeugträgern ausüben und sich trotzdem wie bei Schiffe versenken vorkommen. C5 daneben, F1 daneben, B8 wieder daneben. Piraten könnten sich in der Unzahl an Buchten und Seitenarmen verstecken und würden von der Wasserpatrouille nicht entdeckt werden. Dazu Wälder und Berge und schon hat man die besten Gründe einen Nationalpark zu gründen. So wie hier geschehen.
Das argentinische Seengebiet erstreckt sich von Neuquén bis nach Esquel und ist gespickt mit kleinen, aber meist größeren Gletscherseen. Flusssysteme schlängeln sich durch die Natur. Eingebettet in die bewaldete Bergwelt bietet dieses kristallklare Wassernetz Raum für jegliche sportliche Aktivität. Zu Land gibt es in jeder Stadt ein Skigebiet und die Wanderwege sind unzählbar. Man könnte sein halbes Leben zu Fuß in dieser Region verbringen, ohne einen Weg doppelt gehen zu müssen.
Wo es derartig von berauschender Natur strotzt, ist der Einfallsreichtum der Geschäftswelt grenzenlos. Angefangen im Erscheinungsbild der Städte, die mit architektonischen Millionen eine zweite Schweiz erschaffen haben. Alles edel, alles Holz, alles öko (oder hätten sie gerne) und alles überbordert. Kulinarisch passt das Sortiment ebenfalls nach Süddeutschland, oder ins Land der Eidgenossen. Wildschweinbraten, Gans, Forelle in Weißweinschaum, Trüffel-Pasta, Käsefondue, Schnecken, Schokoladies, usw. Nur Markenklamotten zu überteuerten Preisen reihen sich auf der Verkaufsstange und Bonzen aus In- und Ausland geben sich die Klinke in die Hand. Abrunden tun dies die Veranstalter. Jede noch so schräge Tour steht in ihrem Programm.
Wäre das argentinische Seengebiet landschaftlich nicht ein einziges riesiges WOW in 3D und Neonlicht, wäre es furchtbar schrecklich.
Aber wie so viele Reisende, konnten auch wir keinen Bogen um diese Seenlandschaft machen.

Zurück zum Sachlichen. Mit feuchten Augen gafften wir über den Nahuel Huapi (übrigens ein Wort der Puelche oder der Pehuenchen, die Ureinwohner des Seengebiets) und schickten uns an nach San Carlos de Bariloche zu kommen. Bariloche war mit 110.000 Einwohner die größte Stadt in dieser Gegend und außerordentlich eitel. Camper waren dort nicht erwünscht, ein kostenfreies parken am Strand oder in der Stadt verboten und durch Streifenpolizisten wurde dies auch strengstens kontrolliert.
Das kam nicht unerwartet und deshalb hielten wir auch nicht an und rollten weiter am Ufer des über 100 km langen Sees. Wirklich gut an Bariloche war, dass die Stadt mitten im Nationalpark lag und vermutlich deshalb keinen Parkeintritt erheben konnte. Alle Wanderungen waren demnach kostenfrei. Davon überzeugten wir uns kurz im Büro der Nationalparkverwaltung und parkten Pancho dann auf einem Privatparkplatz am Berg Campanario. Wir fragten schnell nach, ob wir über Nacht dort stehen bleiben könnten und der Chef des Seilbahnbetriebs nickte ab. Anstatt per Seilbahn mühten wir uns aber per Fuß hoch auf den Berg. Sehr steil ging es durch den Wald und gut verschwitzt standen wir eine Stunde später auf der Aussichtsplattform. Wie gesagt ein WOW in XXL-Buchstaben. Wir überblickten einen Großteil des Sees mit seinen vielen Seitenarmen, hatten Bariloche am Rand und hinter uns das Grenzgebirge, also die Anden, mit seinen weißen Zinnen. Der höchste von allen war mit 3.491 m der Monte Tronador. Der Wind war mörderisch, aber der Ausblick spektakulär. Nach einer Stunde machten wir uns an den Abstieg und als die Seilbahn gegen 18 Uhr den Betrieb einstellte und die letzten Wanderer aus den Wald schritten hatten wir den kleinen Parkplatz für uns. Es wurde sehr ruhig.












Sportlich ging es weiter. Als die Seilbahn um 10 Uhr ihren Betrieb wieder aufnahm, waren wir längst auf einen anderen Wanderweg unterwegs. Wir fuhren an einem Schweizer Stadtteil vorbei (gab es tatsächlich) und hielten am Ausgangspunkt hoch auf den Cerro López. Wieder durch Wald ging es zeitweise extremst steil bergauf. Zu Beginn hatten wir einen Bach neben uns, später blieb der unter uns zurück. Wir machten fast 1.000 Höhenmeter auf 3,5 km und trafen im letzten Abschnitt auf Schneereste im Wald. Als der letzte Baum hinter uns lag mussten wir noch 600 Meter durch verharschten Schnee mühsam die letzten Windungen bis zur Schutzhütte schaffen. Einen halben Meter hoch war der Schnee und wir fluchten pausenlos, da der harte Schnee in der Sonne verteufelt schmierig wurde. Klar legten wir uns, gehört zum Geschäft . Die Aussicht war toll, aber die vom Vortag gefiel uns besser. Den Berg wieder runter und im Wald sahen wir zum ersten Mal ein Weibchen des großen Magellanspechts. Im Gegensatz zum Männchen mit seinem feuerroten Kopf war ihr Körper einheitlich schwarz. Allerdings war der Specht weit entfernt, weshalb die Bilder weniger imposant wurden.
Wir stärkten uns dann und folgten der Straße am See weiter bis in die Spitze der Halbinsel. Dort verbrachten wir die Nacht. Inzwischen 35 km von Bariloche entfernt störte es die Gesetzeshüter nicht, ob ein Camper im Wald die Nacht verbrachte. Bevor es aber so weit war, liefen wir durch den Wald bis an den großen See und einem Aussichtspunkt. Auf dem Weg fanden wir einen versteckten kleinen See und kamen nach 9 km wieder bei Pancho raus. Ein ausgefüllter Tag ging zu Ende.









Da die Muskulatur noch schön geschmeidig war, machten wir uns wieder auf einen Wanderweg hoch zu einer Schutzhütte. Etwas leichter gestaltete sich eine der beliebtesten Wanderungen bei Bariloche, da man in das örtliche Skigebiet hochfahren kann und dadurch schon auf 1.000 Höhenmeter beginnt. Das Refugio Frey lag gut 12 km entfernt und 700 Höhenmeter oberhalb unseres Startpunktes. Die Hälfte des Weges schritten wir durch eine Waldbrandzone, die vor ein paar Jahren einen Teil der Bergflanke wegfraß. Schuld war ein Wanderer... Dann tauchten wir ein in Südbuchenwald, der hier noch hohe Bäume hervorbrachte. Südbuchenwälder sind famos, sie sind grün und licht mit viel Totholz und oft haben die Bäume skurrile Formen. Erst am Ende ging es aus den Wald und der Pfad wurde steil. Die letzten 400 Meter mussten wir wieder durch Schnee, aber dann standen wir am Refugio Frey und der noch halb zugefrorenen Laguna Toncek. Felsnadeln spickten das andere Ende des kleinen Bergsees und einige Kletterer suchten in einem Berg mit senkrechten Wänden ihr Vergnügen. Wir verkrochen uns hinter einer Steinmauer und futterten hastig unsere mitgebrachten Brote. Selbst das Obst verschoben wir auf später. Der Wind war hundsgemein und arschkalt. Wir liefen in der Sonne hoch und wieder bergab, aber oben am Ziel hingen Wolken in den Gipfeln. Dies förderte das Wohlbefinden nicht. Egal, der Aussicht wegen hat sich die Tour mehr als gelohnt. Auf dem Rückweg hatten wir die Nachmittagssonne im Gesicht und der große blaue See Gutiérrez glitzerte unter uns. Berge überall und unsere Wanderlust wurde befriedigt.
Wir bewegten Pancho nicht mehr an diesem Tag. Wir blieben einfach auf dem gigantischen Parkplatz über Nacht. Außerhalb der Skisaison am Cerro Cathedral war dort oben jede Kneipe und jeder Souvenirladen geschlossen und darum scherte es niemanden ob dort ein oder zwei Autos über Nacht blieben. Mit uns blieb ein Wicked Camper. Etwas urtypisches für Chile, was man aber auch in den Randbereichen in Argentinien findet. Spartanisch umgebaute Büschen, alle mit individueller Bemalung. Eine Matratze, ein Campingkocher, Stühle und Tisch, etwas Stauraum und eine kleine Sitzbank und fertig ist das billigste Wohnmobil in Südamerika. Heizung Fehlanzeige und diese hätte man in dieser Nacht benötigen können. Die Temperatur sank bis auf den Gefrierpunkt, aber wir hatten es lauschig warm.

















Alles war geschlossen und doch gab es neben dem Infostand für Touristen ein erstklassiges Internetsignal. Wir vermummten uns und begaben uns auf eine Holzbank, die Sonnenschein tankte. Wir nutzten die Gunst der Stunde und skypten mit unserer Schwägerin in spe und verließen später als erwartet den Parkplatz. Wir hielten an einen Supermarkt in Bariloche, wechselten anschließend chilenische Pesos in argentinische (machten dabei sogar Gewinn!) und gaben Pancho die Sporen. Auf der 40 ging es nach Süden. 120 km vorbei an traumhaften Gletscherseen und vereinzelten Waldgebieten. Vor der Stadt El Bolsón verringerten wir die angesammelten Höhenmeter und düsten hinab, um auf nur noch 250 HM im sehr milden Klima der Hippiekommune anzukommen. Auf beiden Seiten im engen Tal türmten sich die Berge auf. Die Stadt hatte ca. 40.000 Einwohner und war die einzige, die den typischen aufgebauschten Charakter der anderen Städte im Seengebiet ablegte. Gebäude waren wie der Bauherr sie wollte, nicht wie sie ins Stadtbild passten. Normalbürger liefen auf den Straßen umher und zwei große Kugeln Eis gab es für 1,50 Euro. Wir parkten im Zentrum und liefen durch die sonnigen Straßen. Ein alternativer Markt umgab den Hauptplatz und vom Aussteiger aus aller Welt bis zum argentinischen Alteingesessenen bot jeder seine Ware feil. Es war lustig, aber wir benötigten nichts. Erst als ein Herr mit seinem Handkarren und noch warmen Backwaren um die Ecke kam sprangen wir. Unter anderem verkaufte er einen Hefezopf in Turmform mit Walnüssen und karamellisierten Zucker und Zimt im Inneren wie oben auf. So was leckeres hatten wir schon lange nicht mehr.
Nach einem kurzen und schnellen Abendessen (waren noch satt vom Eis und Zopf) gingen wir noch auf ein Bier in eine Rockkneipe. Es war erst 20.30 Uhr und noch nichts los, aber das hopfige Bier für 2,50 schmeckte.





Ende Teil 1
Stefan